Donnerstag - Freitag, der 13.
 

Der Tag hatte dumm angefangen. Schon am frühen Morgen hatte nichts geklappt. Manchmal wird ein Tag, der schlecht begonnen hat, im Laufe der Stunden noch ganz erträglich. Diesmal aber wurde es immer schlimmer. Der Abend schließlich versprach alles in den Schatten zu stellen.

Früh also, verbrannte ich mir die Zunge mit heißem Kaffee beim eiligen Stehfrühstück. Mit verknöpfter Jacke lief ich dann den halben Tag in unserem riesigen Bürocenter herum und gab Anlass für verwegene Spekulationen. In der Hektik vergaß ich das Mittagessen und so kleckerte ich mir endlich um 14.30 Uhr draußen am Imbisswagen gekonnt den Ketschup über den Rock. Die Bauarbeiter beim Pausenbier fanden das unheimlich witzig. Genervt nahm ich also lieber meinen Stapel Arbeitspapiere mit nach Hause, um angeblich dort in Ruhe weiterarbeiten zu können.

Am späten Nachmittag war ich dann gerade dabei, mir einen Tintenfleck aus der neuen gelben Seidenbluse zu reiben, als es Sturm klingelte.

Mit tropfenden Händen schlich ich zur Tür. Durch den Spion sah ich meine Nachbarin Sandra. Erleichtert öffnete ich und bekam im selben Augenblick mörderisch eins auf die Nase.

Leider verlor ich nicht das Bewusstsein, sonst wäre mir an diesem ereignisreichen Tag einiges erspart geblieben.

Ich krachte auf den Fußboden, hielt mir meine natürlich sofort blutende Nase und schaute Sandra mit schmerzverzogenem Gesicht  fragend an.

Sie hockte sich erschrocken neben mich, zog ein allerdings ge-brauchtes Taschentuch aus ihrer Hose und entschuldigte sich lautstark. Ich wehrte ihre liebgemeinte Hilfe ab und mein Gesicht ähnelte dann meinem Ketschup-Malheur vom Mittag sehr.

Sandra hatte noch einmal gegen meine Tür trommeln wollen, weil ich ewig nicht aufgemacht hatte. Schließlich ging es um einen Notfall!

Ernst, ihr Freund, hatte sich beim Fleischschneiden den Zeigefinger abgesäbelt. Er saß leichenblass auf der anderen Seite des

Treppenflures in der offenen Wohnungstür, stierte vor sich hin und hielt irgendetwas Dunkelrotes in der unverbundenen Hand. Ich konnte beim besten Willen nicht genauer hinsehen.

"Kannst du uns schnell ins Krankenhaus fahren? Ich hab schon was getrunken!", sagte Sandra, als ihr nach dieser Aktion ihr ursprüngliches Anliegen wieder einfiel.

Ohne meine Antwort abzuwarten lief sie rüber zu Ernst. "Hast du deinen Finger, Schatz?"

Sie hakte ihn vorsichtig unter und zog ihn mühsam hoch. Apathisch ließ er sich von ihr die Treppen hinunterführen. Hoffentlich hatte er auch schon was getrunken, der Ärmste!

Wie angestochen stürzte ich zurück in meine Wohnung, griff den Autoschlüssel von der Kommode und rannte hinter den beiden die vier Etagen hinunter zum Auto. Dort lehnte Ernst am Kotflügel meines kleinen Renault und übergab sich gerade. Sandra drückte mir etwas Warmes in die Hand und bemühte sich mit besagtem Taschentuch die Spritzer erst von meinem Auto, dann von Ernst' Shirt zu wischen.

Ich gab Sandra den Finger zurück und stieg ein. War mir übel!

Wie der Teufel raste ich los und merkte erst Minuten später am Klinikum, dass Ernst allein auf dem Rücksitz lag. Er konnte immer noch nichts sagen, guckte aber noch.

Ich gab dem Pförtner wilde Zeichen und dann kamen schon die Sanitäter mit der Trage. Ich konnte mich gar nicht so schnell wehren, wie ich plötzlich darauf lag und durch die Gänge rollte. Was sollte das nur werden?!

Als ich erwachte hatte ich eine Infusion am Arm und keinen Blindarm mehr. Es war aber auch höchste Eisenbahn, meinte die Schwester lakonisch. Trotzdem ließ sie eine Besucherin ins Zimmer. "Das ist aber eine Ausnahme heute. Nur fünf Minuten!", drohte sie streng.

Dann hockte Sandra im Bademantel und einem Gipsbein an meinem Bett. Ich war ihr beim Anfahren mit dem Auto über den linken Fuß gefahren. Bei Ernst auf der Chirurgischen Station war sie inzwischen auch schon mit ihrem Rollstuhl. Es schien mit dem Fingerannähen noch geklappt zu haben, die Ärzte waren zuversichtlich.

"Das ist erstaunlich, weil ich den Finger erst mitbrachte, als ich eingeliefert wurde. Ich hielt ihn ja noch in der Hand! Hätte ich gewusst, dass es dir nicht gut geht, hätte ich doch bei Meiers unter uns geklingelt! Aber du hast ja wieder kein Wort gesagt!", meinte Sandra beinahe beleidigt.

Bevor ich antworten konnte schaute die Schwester um die Ecke. "Hier ist noch jemand für Sie. Dass wir uns aber richtig verstehen, nur noch einen Augenblick, ja!" Sie sperrte die Zimmertür weit auf und Herr Meier trat ein.

"Gut, dass ich Sie gleich beide hier treffe“, sagte er und stützte beide Arme auf mein Bettende. „Wir mussten gerade die Feuerwehr holen und Ihre Wohnungstür aufbrechen lassen."

Ich hoffte inständig, dass er Sandra meinte, aber er sah mich an.

"Was, wieso?"

"Na, Sie haben den Wasserhahn laufen lassen und allen acht Mietparteien unter Ihnen stand das Wasser hektoliterweise in der Wohnung! Leider ist es auch zu Ihnen in den Flur gelaufen, Ihre Wohnungstür stand ja noch offen." Jetzt sah er Sandra endlich an.

"Bei welcher Versicherung sind Sie denn versichert?", fragte Herr Meier. "Dann würde ich die Schadensmeldung schon mal telefonisch durchgeben. Sie brauchen ja doch noch ein paar Tage."

Ich schluckte. "Ich ... versichert ...?"

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